1400 Km zu Fuß durch Deutschland

Ich wandere zu Fuß zu meinen sechs Kindern

Teil 1

Kurs Süd-Süd-West – Zu Fuß von Berlin nach Karlsruhe

Zum 65 Geburtstag schenkte ich mir eine große Wanderung:
Zu Fuß zu allen meinen Kindern. Mit Zelt, Schlaf-sack und Kocher.
Karlsruhe – Oberkessach – Oberkirch und München.

Ich startete Ende Juni. Die erste Etappe führt mich 700 km nach Karlsruhe. Die Strecke hatte ich als GPS auf das Handy geladen.
In Wannsee sprach mich eine Frau an und fragte mich, ob ich auf dem Jakobsweg sei. Sie gab sich als Organisatorin des Görlitzer Jakobsweges zu erkennen, der ja auch gut eingerichtet ist mit Herbergen. Ich wollte damit gar nichts zu tun haben, natürlich hatte ich das Jakobswegschild gesehen. Aber der Inhalt meines Weges schien mir ein anderer. Schien! Ist ein Fußweg, um die Kinder zu besuchen, eine Pilgerfahrt? Ich weiß es immer noch nicht, ich tue mich schwer mit Umdeutungen. Es könnte ja auch Opportunismus sein, um mich den Gegebenheiten anzupassen. Wie auch immer, die zweite Begegnung hatte ich einige Gehstunden vor Wittenberg. Eine Frau mit Ziehwägelchen, in der ihr Kind saß, sagte mir, dass es in Wittenberg eine Pilgerherberge gäbe. Die Füße waren kaputt, ich glaube es gab da keine Stelle, die nicht bepflastert war. Pilgerherberge. Wenn ich in eine Pension gehe oder Hotelzimmer oder Jugendherberge, ist das anonym, und das bleibt es. Eine Herberge hat in meinen Gefühlen etwas mit Beschützen und Angenommenwerden zu tun. Schlicht. Mehrbettzimmer. Klo und Dusche übern Flur. Aber meistens mit Charakter gemacht, für den Pilger. Nehme ich das an oder nicht? Passt es zu meinem Plan, zu meinem Vorhaben, oder lenkt es mich davon ab? Solche Fragen kann ich manchmal besser in der Praxis beantworten.

Ich habe mich so wohl gefühlt in der Herberge, wie vielleicht andere im 4-Sterne-Hotel. Es ist nicht die Bescheidenheit, sondern viel wichtiger: der Sinn der dahinter steht.
Ja, und damit hatte ich die Pilgerfahrt innerlich angenommen. Ich bekam den Pilgerausweis, gab ordnungsgemäß eine zusätzliche Spende für den Erhalt des Hauses und ging morgens in die Andacht. In Badelatschen, weil ja die Füße kaputt waren und ich nicht 1 Minute länger in Wanderstiefeln sein wollte als unbedingt nötig. Meine Bitte bei den Fürbitten um gute Pilgerfahrt und heile Füße verursachte neugierige und mitfühlende Blick der Diakonisse.
Dass der Herrgott mir keine neuen Socken kaufen würde, war mir klar. Das hatte ich schon am Nachmittag zuvor erledigt. Mit einem humoristisch veranlagten Verkäufer, der wusste, was jetzt passiert, wenn ich die Wanderstiefel ausziehe. Wir hatten ja Corona Nasen- und Mundschütze an, und er ging diskret hinter den Tresen. Nach zwei weiteren Tagen waren die Füße tadellos in Ordnung. Und das bei 30 – 40 Kilometern am Tag und einem Rucksack von 15 Kilo.
Vor dem Start in meiner Gemeinde, der Blumhardt Gemeinde in Britz, hatte ich um den Reisesegen gebeten. Es war dieses Jahr gehörig anders als sonst. Und ich hatte echt Bammel. Normalerweise bin ich im Sommer mehrere Wochen in den Bergen unterwegs. Alpen, Pyrenäen, manchmal auch außerhalb Europas. Wenn ich wie heuer durch sechs Bundesländer wandere, komme ich zwangsläufig in Kontakt mit der Bevölkerung. Das ist ja meistens super, es gibt schöne und intensive Gespräche; aber ich habe Angst, denen zu begegnen, die auf alles so einfache Antworten ha-ben. Also hatte es mit diesem Segen schon eine schwere und besondere Bewandtnis.
Auf meinem Weg.
23 Tage habe ich wunderbare Erfahrungen gemacht. Mit großzügigen und offenen Menschen. Ich durfte drei Mal neben einer Kirche mein Zelt aufschlagen. Einmal hat in der Kapelle Maria, die Schließerin, für die Nacht ein Kerzlein für mich angezündet.

Ich habe in zwei Augustinerklöstern übernachtet, die für Pilger ein Zimmer reserviert haben, Ich war drei Mal in einer Pilgerherberge.
Und was ist es nun: Geborgenheit, Mich-Angenommen-Fühlen, ein bisschen wie nach Hause kommen? Ich kann entspannen, fürchte mich nicht und schlafe gut.
Am Morgen oder am Abend mache ich einen kleinen Besuch in der Kirche, versenke mich ein wenig. Dem Herrgott oder später in Bayern der Maria erzähle ich, was mir heute wichtig ist.
Gott sagt mir nie: Du musst.
Ich kann. Er ist da. Ich kann sein Angebot annehmen oder es lassen.
Ich habe ja oft Zweifel, auch ist manchmal im Alltagsleben oder in meinem Kopf einfach kein Platz für ihn, aber ich habe das große Glück, Andacht zu finden in den Gottesdiensten, die ich musikalisch begleite.
Wenn ich zweifle, kann ich zweifeln. Ich kann mich entscheiden, ob ich den Pilgerweg annehme oder nicht. Insgesamt war ich auf meiner Wanderung von Berlin nach Karlsruhe auf fünf verschiedenen Jakobswegen unterwegs, ich wusste das vorher nicht. Es war nirgends vermerkt. Da hing einfach wieder ein Jakobsweg-Schild am Baum und wies mir den Weg.

Teil 2

März, 2021

Die Unterkünfte, Gaststätten, auch Pilgerherbergen sind Coronabedingt geschlossen. Für meine Versorgung habe ich Supermärkte, Bäckereien und Tankstellen.

Es ist noch einmal Winter geworden, sagen die Bauern.

Manchmal mache ich nachts im Zelt etwas Gymnastik um mich zu erwärmen.

Es ist nur Kälte. Es ist nichts Schlimmes. Und neue Ideen helfen mir weiter. Z.B.  die Rettungsfolie unter der Isomatte bringt mehr Wärme-

Ich besuche meine sechs Kinder zu Fuß.

Teil I war im Sommer 2020: Berlin Karlsruhe 700 Km.

Teil II in den ersten Aprilwochen 2021 Karlsruhe – Oberkirch – Künzelsau – München, 600 Km.

Mit Zelt, Schlafsack, Kocher.

Leben im Hier und Jetzt fällt mich zunehmend mit den Wandertagen an.

Nicht was mir fehlt beschäftigt mich. Das was ich habe beglückt mich.

Ich komme beim Schneesturm im Gemeindehaus unter. Bestelle die Grüße von meiner Heimatgemeinde. Dort kann ich mich und Wäsche waschen und brauche es nicht am Brunnen oder am Bach zu machen. Die Pfarrerin bringt mir eine warme Mahlzeit.

Es ist: Knieschmerzen

Es ist: Kälte

Ich empfinde:

Es ist nicht gut

Es ist nicht schlecht

Es ist nicht irgendwas

Es ist.

Ich kann mich freuen. Ich muss nicht hadern, weil irgendetwas nicht so ist, wie ich denke, daß es sein müsste.

Am Abend lasse ich mir gerne die Kirche aufschließen und halte etwas Zwiesprache. Gott am Hauptaltar macht so einen vielbeschäftigten Eindruck, ich sitze gerne am Marienaltar (das ist immer der linke Seitenaltar)

Ich komme die ersten zwei Wochen schlecht voran. Vielleicht 20 Km am Tag. Allerdings auch viele Höhenmeter. Oberkirch, die Tochter mag mich nicht sehen. Sie ist nicht gut zu sprechen auf mich. Von Oberkirch quere ich auf den Westweg im Schwarzwald. Ich muss immer darauf achten, daß mein Smartphone geladen ist. Das ist nämlich meine Landkarte. Ich habe ein Solar Ladegerät dabei. Der Wind ist schneidend kalt. Ich werde weder Tags noch Nachts richtig warm.

Tochter Sophia in Künzelsau. Frühstück bei ihr und ein großartiges warmherziges Treffen.

Dann kommt die schwäbische und fränkische Alb. Ich quere diese in südöstlicher Richtung, täglich 5 Täler, 10 An und Abstiege. Ein Paar lädt mich ein, bei ihnen zu schlafen. Was habe ich für ein Glück. Und es gibt Wurstsalat.

Ab Augsburg wird es flach. Durch die großen Städte fahre ich mit den Öffies. Dadurch „spare“ ich mir einen Tag und komme planmäßig nach 3 Wochen in München an. Tochter Marie kommt mir entgegen und läuft die letzte Etappe gemeinsam mit mir.

Ich bin bei ihr drei Tage zu Gast, bringe meine Ausrüstung in Ordnung und erhole mich auf der Couch, gebe dem Bayerischen Rundfunk ein Interview und fahre zurück nach Berlin.

Zusammengefasst:

Ich hatte den Wunsch meine Kinder zu Fuß zu besuchen, ich hatte den Segen Gottes auf dem Weg und ich habe es gemacht.

Wenn auch nicht jede Stunde

Jubel

    Jubel

        Jubel

Jeden Tag